Einleitung
Bei 250 Pastoralreisen besuchte er 128 Länder der Erde. Dabei legte er schätzungsweise 1,3 Millionen Kilometer zurück und umrundete die Erde mehr als 30 Mal. Ungefähr 18 Millionen Menschen begegnete er allein bei seinen wöchentlichen Generalaudienzen in Rom. Mehr als 1000 Mal traf er mit Politikern aus aller Welt im Vatikanpalast zusammen. 200 Staats- und Regierungschefs und fast vier Millionen Gläubige pilgerten nach seinem Tod in die Ewige Stadt.
Wahrscheinlich war er der meistfotografierte und -gefilmte Mensch der Geschichte. Womöglich ist nie zuvor ein Einzelner mit so vielen Menschen in Kontakt getreten: unmittelbar durch die Begegnung auf Audienzen oder Reisen, mittelbar über die Massenmedien. Mehr als zwei Milliarden Zuschauer sollen allein sein Requiem an den Fernsehbildschirmen verfolgt haben. Das Institut "Global Language Monitor" hat über 100 000 Zeitungsartikel und zwölf Millionen Internetzitate gezählt, die weltweit anlässlich seines Todes erschienen sind.
Er war der Papst der Superlative und ein medialer Superstar. Die Rede ist von Karol Wojtyla, dem "Great Communicator",
Die Päpste und die Medien
Als der polnische Kardinal am 16. Oktober 1978 zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt wurde, gehörte zu einer seiner ersten Amtshandlungen eine Audienz für 1500 Medienvertreter. Von diesem besonderen Empfang berichtete die "Sunday Times", dass die eigentliche Ansprache des neuen Papstes nur 13 Minuten gedauert, Johannes Paul II. die Audienzhalle aber erst nach weiteren 50 Minuten verlassen habe. Entgegen den vatikanischen Gepflogenheiten gab der neue Papst nämlich einigen der anwesenden Journalisten nach seiner vorbereiteten Rede noch spontane Interviews. "So perhaps a new era is opening in the Vatican for the world's media", mutmaßte die Sunday Times damals.
Der polnische Pontifex hatte schnell verstanden, welche Möglichkeiten sich mit der massenmedialen Kommunikation für die katholische Kirche eröffneten. Offensiv reagierte er auf die Medialisierung: auf die zunehmende und gegenseitige Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche, darunter auch der Kirche, durch die Massenmedien.
Die meisten seiner Vorgänger hatten keine so offene Einstellung den modernen Medienstrukturen gegenüber, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Etablierung von Telegraphenverbindungen, Nachrichtenagenturen und Korrespondentennetzen herausbildeten. Dennoch partizipierten die Päpste immer an den technischen Medienentwicklungen der letzten 150 Jahre, indem sie einen eigenen vatikanischen Medienapparat aufbauten.
Der erste Papst des massenmedialen Zeitalters, Pius IX. (1846 - 1878), gründete eigene kirchliche Presseorgane, wie die bis heute erscheinende Tageszeitung L'Osservatore Romano (1861) und die Zeitschrift La Civiltà Cattolica (1850). Trotz dieses Medienengagements verurteilte Pius IX. in seinem "Syllabus Errorum" (Liste der Irrtümer) von 1864 die Meinungs- und Pressefreiheit. Sein Nachfolger Leo XIII. (1878 - 1903) machte intensiven Gebrauch von den neuen technischen Medienmöglichkeiten: 1903 sprach er ein Gebet in einen Phonographen. Diese Aufnahme des "Ave Maria" ist die älteste noch erhaltene Aufzeichnung einer Papststimme. Bereits 1896 hatte sich Leo XIII. in den Vatikanischen Gärten filmen lassen. Die bewegten Papstbilder gehören zu den ersten Zeugnissen der Filmgeschichte.
Während Pius X. (1903 - 1914) allen modernen Entwicklungen mit Skepsis begegnete, stand sein Nachfolger Benedikt XV. (1914 - 1922) der Presse als erster Pontifex für Interviews zur Verfügung. Pius XI. (1922 - 1939) gründete 1931 einen eigenen kirchlichen Radiosender. Bis heute sendet Radio Vatikan Nachrichten aus dem Zentrum der katholischen Kirche in 47 verschiedenen Sprachen. Besonders oft machte Pius XII. (1939 - 1958) Gebrauch von der Möglichkeit, über den Kirchensender direkt zu den Gläubigen in aller Welt zu sprechen. Anlässlich des Heiligen Jahres 1950 richtete er einen Vorläufer des heutigen vatikanischen Fernsehzentrums Centro Televisivo Vaticano ein, das die Fernsehanstalten in aller Welt mit kirchlich autorisiertem Filmmaterial versorgt. Die beiden technikfreundlichen Päpste Pius XI. und Pius XII. äußerten sich zudem erstmals in päpstlichen Lehrschreiben positiv zur Rolle der modernen Massenmedien: so in der "Filmenzyklika" Vigilanti Cura (Mit besonderer Aufmerksamkeit) vom 29. Juni 1936 und in der "Medienenzyklika" Miranda Prorsus (Die wunderbaren technischen Entwicklungen) vom 8. September 1957.
Unter Paul VI. (1963 - 1978) wurde 1964 der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel eingerichtet, wie die Massenmedien im kirchlichen Sprachgebrauch seit dem II. Vatikanischen Konzil (1963 - 1965) bezeichnet werden. Seit 1967 begeht die Kirche jährlich am 24. Januar, am Fest des Journalistenpatrons Franz von Sales (1567 - 1622), den Welttag der sozialen Kommunikationsmittel.
Das Pontifikat Pauls VI. markiert außerdem den Beginn der modernen päpstlichen Reisetätigkeit. Von seiner ersten Reise an ist der Papst bei allen Pastoralvisiten und Staatsbesuchen stets von einem großen Presseaufgebot begleitet worden. Die Medienvertreter wurden schon damals vom Heiligen Stuhl ausgewählt und reisten mit dem Pontifex gemeinsam im Flugzeug. "Wie kein anderer Papst vor ihm sucht Paul VI. die Gesellschaft der Journalisten und fühlt sich bei ihnen wohl. (...) Bei seinem Besuch der Vereinten Nationen in New York 1965 sagte der Papst zu den Korrespondenten: Sie sollten wissen, daß wir ein Freund der Presse sind."
Johannes Paul II. führte einerseits die von Paul VI. und seinen Vorgängern begonnene Medienpolitik fort, setzte andererseits mit seinen geschickten Medieninszenierungen und seinem persönlichen Charisma aber auch völlig neue Maßstäbe. Schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt sprach das britische Nachrichtenmagazin The Economist von einer "Popemania".
Starpotential Papstamt
Der Papst gilt als Stellvertreter Christi auf Erden und sieht sich in direkter Nachfolge des Apostelfürsten Petrus. Er trägt unter anderem die Titel "Pontifex Maximus" (Größter Brückenbauer), Oberster Priester der Weltkirche, Primas von Italien, Oberhaupt des Staates Vatikanstadt und "Diener der Diener Gottes". Kein anderer Mensch auf Erden vereinigt solche Würden auf sich. Die Einmaligkeit des Papstamtes sorgt bereits für das Starpotential und sichert der altehrwürdigen Institution des Papsttums die andauernde öffentliche Faszination. Mit allen diesen Titeln und der Papstwürde verbunden ist ein herausragendes "Amtscharisma" des Papstes. Der von Max Weber geprägte Begriff besagt, "dass das Charisma vollkommen gelöst von jeder konkreten Person gedacht wird, die das betreffende Amt besetzt."
Nach dem von Soziologen konstatierten Wandel von Knappheits- in Erlebnisgesellschaften im Westeuropa im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts konzentriert sich die öffentliche Aufmerksamkeit insbesondere auf die Reisen des Papstes, seine Audienzen in Rom oder auf einen Papstwechsel. Diese "Events" befriedigen das gesellschaftliche Bedürfnis nach dem "Erlebnis", und sie entsprechen dem medialen Nachrichtenwert der "Personalisierung". Denn bei den kirchlichen Großveranstaltungen fokussiert sich die Medienaufmerksamkeit heutzutage ganz auf die Person des Papstes. Inzwischen gehört die Teilnahme an der wöchentlichen päpstlichen Generalaudienz, dem sonntäglichen Angelusgebet oder an einer Messe des Papstes zu jedem touristischen Aufenthalt in Rom. Nahezu jeder Besucher der Ewigen Stadt will den Papst sehen, ganz unabhängig von seiner eigenen religiösen Zugehörigkeit. Eindrucksvoll bestätigt wurde die Koinzidenz von "Erlebnis" und "Personalisierung" durch die ungeheuren Pilgermassen und das riesige Medieninteresse nach dem Tod des letzten Papstes im April 2005: "So blieb Karol Wojtyla selbst im Tod noch ein Medienstar."
Nach dem Medienwissenschaftler Knut Hickethier ist unter dem Begriff "Star" eine Person zu verstehen, "die durch ihre körperliche Präsenz, ihr Auftreten, ihre Gestik und Mimik nicht nur eine Rolle glaubhaft verkörpern kann, sondern darüber hinaus auch noch ein Publikum zu faszinieren weiß".
Als erster Medienstar unter den Päpsten gilt Pius IX., denn er war das erste katholische Kirchenoberhaupt, von dem Fotografien aufgenommen wurden. Postkarten und illustrierte Zeitschriften sorgten für eine weite Verbreitung des Papstbildnisses, das fortan zur Grundausstattung eines guten katholischen Hauses gehörte. "Die Drucke und Lithographien, die ihn betend, denkend, segnend oder im Kreis seiner Berater zeigen, übersteigen vermutlich das Maß dessen, was bis dahin für Päpste üblich war."
Diese Personalisierung des Papstamtes und auch der Ursprung des Starkults aus der Theaterwelt werden in einem Nachruf der Frankfurter Zeitung auf Leo XIII. deutlich: "Seien wir einmal offenherzig und sprechen wir vom verstorbenen Papste, wie die Mitglieder einer Bühne von ihrem toten star (sic!, Original im Sperrdruck) reden würden. In gewissem Sinne darf man ja den Vatikan wegen der großen Feste, die er zu geben pflegt und die manchen Theaterintendanten neidisch machen könnten, mit einem Theater vergleichen, ohne deshalb gleich eine Gotteslästerung zu begehen. Ebenso kann man die Begeisterung der Durchschnittsgläubigen, die nach Rom kommen, der Schwärmerei der Backfische jeglichen Geschlechts für die Darsteller sentimentaler oder heroischer Rollen vergleichen."
Pius XII. war der erste Träger des Papstamtes, der sich selbst bewusst medial in Szene gesetzt hat. Im Garten der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo ließ er ganze Fotostrecken aufnehmen, die ihn beispielsweise umgeben von jungen Lämmern zeigen: eine Anspielung auf die biblische Erzählung vom guten Hirten. Diese Aufnahmen wurden dann in einer zehnseitigen Reportage der französischen Starpostille Paris Match abgedruckt.
Wegen der zunehmenden personalisierten Fernsehberichterstattung könnte man annehmen, dass die folgenden Papstwahlen auch von der Frage bestimmt waren, wie telegen ein Kandidat war und wie gewinnend er lächeln konnte. Während der rundliche und joviale Johannes XXIII. diesen Anforderungen mühelos gerecht wurde, konnte aus dem hageren, stets unglücklich wirkenden Paul VI. aus diesen Gründen eben kein Medienstar werden. Seinem Nachfolger Johannes Paul I. (August-September 1978) verpassten die Medien dagegen schnell das Image vom lachenden Papst, und es ist davon auszugehen, dass er mit seiner gewinnenden, einfachen Art schnell zu einem Medienstar aufgestiegen wäre. Nach dem frühen Tod von Johannes Paul I. entschieden sich die Kardinäle dazu, einen jüngeren Mann aus Polen zum Kirchenoberhaupt zu wählen - der in seiner Jugend fünf Jahre lang als Laienschauspieler auf der Theaterbühne gestanden hatte.
Der Spiegel schrieb über das folgende, über ein Vierteljahrhundert währende "Medienpontifikat" von Johannes Paul II.: "Seit den ersten Amtstagen übertragen TV-Sender jedes Papst-Event bis in den letzten Winkel. Keiner wurde je von so vielen Menschen gesehen wie Wojtyla Superstar, der Maradona des Glaubens. Ob er im Dreck Kalkuttas vor dem Haus von Mutter Teresa betete, zwischen Panzerwracks und Bombenkratern in Angola oder umringt von Guerilleros in Osttimor, die Welt war dabei. Medial ist dieser Propagandist seines Herrn ein Genie."
Benedikt - Medienstar wider Willen
Der Nachfolger trat in große mediale Fußstapfen und fand ein schweres Erbe vor. Benedikt XVI. versuchte erst gar nicht das Medienstar-Image seines Vorgängers nachzuahmen. Großer, plakativer Gesten enthielt er sich bisher. Ganz im Gegenteil: Wer den ersten Auftritt des neugewählten Papstes am Abend des 19. April 2005 auf der Loggia des Petersdomes in Erinnerung hat, sieht das Bild eines schüchtern wirkenden, unbeholfen winkenden Mannes, der den Jubel der Menge keineswegs zu genießen scheint. Allenfalls ein zaghaftes Lächeln huschte ihm über das Gesicht. Doch wenige Tage nach seiner Wahl empfing Benedikt XVI. wie sein Vorgänger in einer der ersten Audienzen die in Rom versammelten Vatikan-Korrespondenten aus aller Welt und dankte ihnen für ihre Arbeit während der Zeit des Papstwechsels. Damit wurde klar, dass er sich den von Johannes Paul II. gesetzten Maßstäben im Umgang mit den Medien nicht entziehen konnte.
Noch offensichtlicher wurde dieser Konnex, als Benedikt XVI. im August 2005 den noch von seinem Vorgänger initiierten Weltjugendtag in Köln besuchte. Damals erschien in der Jugendzeitschrift "Bravo" am 17. August 2005 ein Poster des Papstes mit dem Schriftzug "BRAVO, Bene!". Auf diesem großformatigen Foto (80 × 55 cm), normalerweise den Musik-, Film- und Fernsehstars der Jugend vorbehalten, erhebt der lächelnde Papst, mit glänzendem Fischerring und Brustkreuz ausgestattet, die Hand zum Segen. Die direkte Ansprache mit "Bene" suggeriert eine persönliche Beziehung zum Kirchenoberhaupt. Der Chefredakteur des Blattes erklärte in einer Pressemitteilung: "Bravo berichtet über Stars, und für viele Jugendliche in Deutschland ist Papst Benedikt XVI. ein Star." Doch dieser Kult um seine Person bereitete Benedikt sichtlich Unbehagen. Immer wieder wies er die jugendlichen Pilger, deren Ziel fast immer die Begegnung mit dem Papst war, auf den eigentlichen Mittelpunkt des Treffens hin: Jesus Christus.
Eine Untersuchung des Forschungskonsortiums Weltjugendtag sah die "Notwendigkeit einer bestimmten medialen Inszenierung des Papstes, nämlich als Celebrity oder Berühmtheit des Medienevents, die dessen sakrale und populäre Aspekte verbindet (...). Damit zeichnet sich (...) ein Wandel des Amtes des Papstes ab: Die Notwendigkeit einer Selbstinszenierung als Celebrity kann nicht mehr dem persönlichem Charisma eines Mannes zugeschrieben werden, wie es bei Johannes Paul II. noch getan wurde. Vielmehr erscheint dieses Muster der Inszenierung in den heutigen Mediengesellschaften als verstetigter Teil des Papstamtes. Das zeigt sich exemplarisch an den von Johannes Paul II. geschaffenen und von Benedikt XVI. übernommenen Weltjugendtagen."
Allerdings versucht Benedikt XVI. dieser medialen Forcierung als Star zu widerstehen. Während sein Vorgänger auch den gemeinsamen Auftritt mit Popstars nicht gescheut hat - so geschehen beim Internationalen Eucharistischen Kongress im September 1997 in Bologna zusammen mit Bob Dylan -, strebt er die Rückbesinnung auf den Kern der liturgischen Feiern an. Dazu gehört auch die Erleichterung der Durchführung des alten lateinischen Messritus. Benedikt XVI. stand bereits während des Pontifikats von Johannes Paul II. den Medieninszenierungen manches Papstauftritts skeptisch gegenüber. Im September 2007 wechselte er den dafür mitverantwortlichen päpstlichen Zeremonienmeister des alten Papstes aus. Noch als Kardinal Ratzinger erkannte er die Risiken, die in einer zu starken Medialisierung liegen, unter anderem die Gefahr für das Papsttum, die Inszenierungs- und Deutungshoheit über die kirchlichen Rituale zu verlieren. Die großen Papstevents, wie Reisen, Messen, Weltjugendtage, bergen auch einen anderen Nachteil. Die damit einhergehende Personalisierung, die Fixierung auf die Papstfigur, "beschert der katholischen Kirche zwar öffentliche Aufmerksamkeit, hat aber ungewollte Nebenwirkungen: Laien treten selten als Handelnde, sondern meist als Rezipienten in Erscheinung, das kirchliche Leben in den Gemeinden erweist sich als kaum darstellbar, der Eindruck von Autorität und Hierarchie innerhalb der katholischen Kirche wird überhöht."
Doch werden Benedikt und seine Nachfolger den einmal eingeschlagenen Weg nicht ganz verlassen können; auch die altehrwürdige Institution des Papsttums muss den Anforderungen der medialisierten Gesellschaft gerecht werden. Darin liegt aber eine Chance, denn "das Papstamt wandelt sich in heutigen Mediengesellschaften und -kulturen dahingehend, dass es auch die Erfüllung einer Medienfigur erfordert. Indem die Katholische Kirche zumindest dem Prinzip nach mit dem Papst über ein Amt verfügt, das mit seinem grundlegenden Amtscharisma den Anforderungen der Personalisierung von Medien-Berühmtheiten gerecht wird, hat sie herausragende Möglichkeiten, ihr Glaubensangebot den heutigen Medien angemessen zu kommunizieren."
Am Medienstar-Image des Papstes bestätigt sich zudem anschaulich und eindrucksvoll eine Erkenntnis des Medienwissenschaftlers Werner Faulstich: "Nur in dem Maße gibt es Stars, in dem wir sie wollen und sie ins Bild fassen. Der Star ist das Produkt kollektiven Begehrens."